Zwar gehen seit Jahrzehnten Infektionskrankheiten im Allgemeinen in der EU zurück, doch die COVID-19-Pandemie hat erst vor Kurzem verdeutlicht, dass Ausbrüche eine ernsthafte Bedrohung für Europa und weltweit darstellen, da sie Gesellschaften und Volkswirtschaften erheblich beeinträchtigen können.
COVID-19 war eine schwere Gesundheitskrise, die unseren Alltag auf den Kopf stellte und deutlich machte, dass Gesundheit eine Grundvoraussetzung für das Wohlergehen der Gesellschaft ist und alle Bereiche menschlichen Handelns beeinflusst: Arbeit, Reisen, Bildung usw. Bereits vor COVID-19 haben die pandemische Influenza (H1N1) 2009, das Ebola-Virus in Westafrika 2014 und 2022, das Zika-Virus 2016 und Mpox 2022 verdeutlicht, dass jederzeit internationale Gesundheitsbedrohungen entstehen können.
Die Bekämpfung grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren erfordert nachhaltige und solide Ansätze in Bezug auf Vorsorge- und Reaktionsfähigkeit vor, während und nach einer Krise. Im Rahmen des Aufbaus einer Europäischen Gesundheitsunion hat die Europäische Kommission im November 2020 einen neuen Rahmen für Gesundheitssicherheit vorgeschlagen, der den Gesundheitsproblemen von morgen gerecht wird.
Auf Grundlage der Lehren aus der Coronavirus-Pandemie wird der neue Rechtsrahmen mithilfe der neuen Verordnung (EU) 2022/2371 die EU-Strukturen für Prävention, Vorsorge und Reaktion auf schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren stärken und die Rolle zweier wichtiger EU-Agenturen durch die neuen Zuständigkeiten des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) erweitern.
Die Europäische Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) wurde eingerichtet, um die Vorsorge- und Reaktionsfähigkeit in Bezug auf schwerwiegende grenzüberschreitende Gefahren im Bereich medizinischer Gegenmaßnahmen zu stärken.
Grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren bekämpfen
Bei grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren kann es sich um Infektionskrankheiten handeln, die auch in Form von Pandemien ausbrechen können. Aber auch Chemieunfälle oder Umweltkatastrophen wie Vulkanausbrüche oder der Klimawandel können eine Gesundheitsgefahr darstellen. In der EU kann eine schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsgefahr die nationalen Eindämmungskapazitäten überlasten, sodass ein koordiniertes Vorgehen der EU-Mitgliedstaaten erforderlich wird.
Die Reaktion auf eine grenzüberschreitende Gesundheitsgefahr umfasst mehrere Elemente:
- die Gefahr, der Ausbruch oder die Krise müssen durch Überwachung und rasche Risikobewertung ermittelt und identifiziert werden,
- Frühwarn- und Meldekanäle müssen über verlässliche Verfahren und Tools zur Verfügung stehen, damit die Behörden Informationen rasch und gezielt austauschen können,
- zur Mobilisierung von Reaktionsmechanismen muss die erforderliche Kapazität verfügbar sein, darunter medizinisches Personal, Behandlungen, Impfstoffe und Krankenhausinfrastruktur.
Der Erfolg der Reaktion hängt auch davon ab, wie hoch die Reaktionsbereitschaft bereits vor dem Auftreten einer Bedrohung war. Die Bereitschaft gilt für alle geeigneten Kapazitäten, Verfahren, Mechanismen und Maßnahmen, die im Falle einer konkreten grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahr aktiviert werden müssen.
Dafür ist es unerlässlich, dass Verfahren und Mechanismen im Voraus eingerichtet werden und rasch mobilisiert werden können, um Bürgerinnen und Bürger bei Gesundheitsgefahren sofort zu schützen. Die Erfahrungen aus realen Ereignissen und regelmäßigen Simulationsübungen für bestehende Verfahren bieten wertvolle Erkenntnisse für die Verbesserung und Anpassung von Vorsorgemaßnahmen.
Manche Bedrohungen erfordern langfristige und gezielte Maßnahmen. Die Resistenz gegen antimikrobielle Mittel, also die Fähigkeit von Mikroben, sich gegen die Medikamente zur Wehr zu setzen, die sie töten sollen (z. B. Antibiotika), ist eine schwerwiegende Bedrohung für die öffentliche Gesundheit und erfordert zielgerichtete Vorsorge und Reaktion.
Unter den neu auftretenden Krankheiten erfordern auch beispielsweise Zoonosen, die über Mutationen von Tieren auf den Menschen übertragen werden, Gegenmaßnahmen im Sinne des Konzepts „Eine Gesundheit“: für optimalen Gesundheitsschutz müssen die Zusammenhänge zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und ihrer gemeinsamen Umwelt beachtet werden. Epidemien wie HIV/AIDS, virale Hepatitis und Tuberkulose bedürfen ebenfalls besonderer, koordinierter und langfristiger Aufmerksamkeit. Gleiches gilt für die Abwehrbereitschaft gegenüber Terroranschlägen, hybriden Bedrohungen und allen Arten von durch Menschen verursachte Bedrohungen für die Öffentlichkeit.
Die EU handelt: die neue Verordnung zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren
Die Europäische Union verfügt bereits seit über 20 Jahren über Rechtsvorschriften für eine koordinierte Reaktion auf grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren durch Infektionskrankheiten chemischen, biologischen und unbekannten Ursprungs, die zufällig oder mit Absicht freigesetzt werden. Diese Rechtsvorschriften wurden durch die neue Verordnung (EU) 2022/2371 zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren verbessert, die auf dem früheren Beschluss Nr. 1082/2013/EU beruht und ihn ersetzt.
Aufbauend auf den Lehren aus der COVID-19-Pandemie wird mit der neuen Verordnung ein robusterer Rechtsrahmen geschaffen, um die Kapazitäten der EU in den wichtigen Bereichen Prävention, Vorsorge, Überwachung, Risikobewertung, Frühwarnung und Reaktion zu verbessern. Die Verordnung ist der wichtigste Rechtsakt, der die Strukturen, Verfahren und Mechanismen auf EU-Ebene festgelegt, um auf Gefahren für die öffentliche Gesundheit mit biologischem, chemischem, umweltbedingtem oder unbekanntem Ursprung zu reagieren.
Die seit Dezember 2022 in Kraft getretene Verordnung zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren ermöglicht der EU nun Folgendes:
- Eine Erklärung über das Vorliegen einer Notlage im Bereich der öffentlichen Gesundheit in der EU, die verstärkte Koordinierung, ECDC-Unterstützung, Mechanismen zur Überwachung und zur Entwicklung, Bereitstellung oder Einführung medizinischer Gegenmaßnahmen wie Behandlungen oder Impfstoffe auslösen kann,
- eine solidere Bereitschaftsplanung mit einem EU-Vorsorgeplan und einer regelmäßigen Überwachung und Bewertung der Vorsorgekapazitäten der Mitgliedstaaten,
- ein erweitertes Frühwarn- und Reaktionssystem, das mit anderen Warnsystemen auf EU- und internationaler Ebene interoperabel ist und eine effiziente Kontaktnachverfolgung und ein neues Modul für die medizinische Evakuierung vorsieht,
- ein gestärktes, integriertes Überwachungssystem, in dem künstliche Intelligenz und andere fortschrittliche Technologien zum Einsatz kommen,
- ein neuer Rahmen für die Risikobewertung für alle Risiken, mit schnellen und angemessenen Empfehlungen für Reaktionsmaßnahmen, unter Beteiligung mehrerer EU-Agenturen: ECDC, EFSA, ECHA, EEA, EMCDDA, Europol, EMA,
- stabile Mechanismen für die gemeinsame Beschaffung medizinischer Gegenmaßnahmen,
- die Möglichkeit gemeinsamer Maßnahmen auf EU-Ebene, um über einen gestärkten Gesundheitssicherheitsausschuss künftigen grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren begegnen zu können.
Verstärkung für ECDC und EMA
Gleichzeitig mit dem neuen EU-Rahmen für die Gesundheitssicherheit wurden auch zwei wichtige EU-Agenturen gestärkt: das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten und die Europäische Arzneimittel-Agentur. Kraft seiner neuen Zuständigkeiten wird das ECDC die Europäische Kommission und die EU-Länder bei grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren folgendermaßen unterstützen:
- durch epidemiologische Überwachung durch integrierte Echtzeit-Überwachungssysteme,
- durch Vorsorge- und Reaktionsplanung, Meldewesen und Bewertung,
- durch Abgabe unverbindlicher Empfehlungen und Optionen für das Risikomanagement bei biologischen Bedrohungen,
- durch die Fähigkeit zur Mobilisierung und Entsendung der EU-Hilfeleistungsteams zur Unterstützung der lokalen Reaktion in den Mitgliedstaaten,
- durch Aufbau eines Netzwerks von EU-Referenzlaboratorien und eines Netzwerks für Substanzen menschlichen Ursprungs.
Das Mandat der Europäischen Arzneimittel-Agentur wurde ebenfalls gestärkt, damit sie eine unionsweit koordinierte Reaktion auf Gesundheitskrisen herbeiführen kann, indem sie:
- das Risiko von Engpässen bei kritischen Arzneimitteln und Medizinprodukten überwacht und abmildert;
- wissenschaftliche Beratung zu Arzneimitteln anbietet, die das Potenzial haben, die Krankheiten, die diese Krisen auslösen, zu behandeln, zu verhüten oder zu diagnostizieren,
- Studien zur Überwachung der Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffen und
- klinische Prüfungen koordiniert.
Früherer Beschluss: Bekämpfung grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren
Vor der Verordnung war der wichtigste Rechtsakt zum Aufbau eines EU-Gesundheitssicherheitsrahmens der Beschluss 1082/2013 zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren mit Bestimmungen über Vorsorge und Kapazitäten für eine koordinierte Reaktion bei Gesundheitskrisen in ganz Europa.
Dieser im Jahr 2013 angenommene Beschluss war ein wichtiger Fortschritt zur Verbesserung der Gesundheitssicherheit in der EU. Er bildete den Rechtsrahmen für die Zusammenarbeit der EU in diesem Bereich, bis er durch die neue Verordnung (EU) 2371/2022 zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren ersetzt wurde.
Der Beschluss unterstützte die EU-Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung von grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen und beim Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor möglichen künftigen Pandemien und schwerwiegenden Gesundheitsbedrohungen durch:
- Stärkung der Kapazitäten der Bereitschaftsplanung auf EU-Ebene durch bessere Koordinierung und Verfahren sowie Informationsaustausch über nationale Bereitschaftsplanung,
- Betrieb eines Schnellwarnsystems zur Meldung schwerwiegender, grenzüberschreitender Gesundheitsbedrohungen, die eine koordinierte Reaktion auf Unionsebene erfordern – das Frühwarn- und Reaktionssystem der EU,
- Verbesserung von Risikobewertung und Risikomanagement grenzüberschreitender Gesundheitsbedrohungen,
- Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für die Entwicklung und Umsetzung eines gemeinsamen Beschaffungsmechanismus für medizinische Gegenmaßnahmen und die entsprechenden Einführungsmechanismen,
- Verbesserung der Koordinierung einer EU-weiten Reaktion durch Schaffung eines entsprechenden soliden, rechtsverbindlichen Mandats für den Gesundheitssicherheitsausschuss, um nationale Reaktionen auf schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren zu koordinieren; außerdem Verbesserung der Risiko- und Krisenkommunikation für die Bereitstellung kohärenter Informationen für die Öffentlichkeit und Angehörige der Gesundheitsberufe,
- Förderung internationaler Zusammenarbeit und globalen Handelns.